Fritz Hagl in den 60ern.
Zuverlässig werten und einordnen, so sagen die Kunsthistoriker, kann man das Werk eines Künstlers erst 30Jahre nach seinem Tode. Demnach wäre eine Würdigung des Lebenswerks Fritz Hagls, der im Januar 2002 gestorben ist, verfrüht.
Die Möglichkeit, über seine Malerei heute zu schreiben und den Wert seiner Bilder jetzt darzustellen, gestattet mir somit lediglich der Umstand, dass ich kein Kunsthistoriker bin. Selbst Maler, hatte ich das Glück, Hagls Arbeit in teils kritischer, teils aufmunternder und bewundernder Freundschaft über viele Jahre begleiten zu dürfen.
Seit 1970 besuchte ich ihn regelmäßig alljährlich in seinem Atelier auf Elba und konnte den Herstellungsprozess seiner Bilder teilweise mitverfolgen. So stehen bei meinen Überlegungen weniger die Stilgeschichtlichen Vergleiche als vielmehr die gestalterischen Entstehungszusammenhänge im Vordergrund.
Da Künstler das Privileg der Egozentrik für sich in Anspruch nehmen dürfen, erlaube ich mir als solcher eine subjektive, auf die Basis eigenen bildnerischen Denkens und Handelns bezogene Betrachtungsweise. Nur aus dieser persönlichen Sicht heraus kann eine Annäherung an Hagls Malerei stattfinden, da er sich lebenslang konsequent dem objektiven Vergleich verweigert hat. Bis auf eine Ausnahme in seinem letzten Lebensjahr hat er nicht umfassend öffentlich ausgestellt. 1
In dem Bewusstsein, dass Malerei Lebensgestaltung und Lebensaufgabe ist, entzog er sich aus innerer Überzeugung und Notwendigkeit heraus dem Kunstmarkt. Damit setzte er die Forderung Dürrenmatts in die Tat um, der in einer Rede anlässlich der Verleihung des Berner Literaturpreises 1979 verlangte: „ Wer nicht beizeiten dafür sorgt, dass er aus dem Kulturgerede kommt, kommt nicht mehr zum arbeiten, und damit nicht zu sich selber; und dahin zu kommen, statt zu irgend einer literarischen Mode, sollte doch eigentlich das Ziel jeden Bemühens sein. Nur wer zu sich selber gekommen ist, vermag das ihm Auferlegte zu unternehmen: die Welt zu bewältigen, ihr durch sich selber einen Sinn zu geben“ 2
Die Stärke von Hagls Persönlichkeit lag ganz und gar darin, dass er unspektakulär auf die Eigen-Kraft seiner Bilder und nicht auf ihre Inszenierung setzte. Mit dieser Einstellung war er in der Welt gnadenloser Selbstdarstellung des ausgehenden 20. Jahrhunderts ausgegrenzt.
Aus dem Selbstverständnis dieser Haltung heraus steht vor uns ein Werk von beeindruckender Konsequenz und Geschlossenheit, dessen magischer Gehalt auf eine andere, tiefere Seinsebene hinweist.
„Ich male für Gott“, hat Hagl einmal zu mir gesagt, als ich Mitte der siebziger Jahre nach dem Grund seiner Öffentlichkeitsverweigerung fragte. Erst jetzt, nachdem die gesellschaftspolitischen Turbulenzen jener Jahre abgeklungen sind, können Bedeutung und Sinn dieser erstaunlichen Antwort verstanden werden.
Das Frühwerk: 1958-1974
Das erste, was ich von Hagl sah, war ein Portrait aus dem Jahr 1958: ein Mann mit Mütze, grünem Schal, blauschwarzer Jacke, in leicht vorgebeugter Haltung, den Blick auf den Betrachter gerichtet, die übereinandergelegten Hände mit braunen Schatten und Glanzlichtern führen schräg nach rechts unten. Solche Portraitstudien scheinen immer am Anfang eines künstlerischen Lebenswegs zu stehen. So hatte auch ich mich mit derartigen Bemühungen zu Beginn meiner Studienzeit abgeplagt. Aus dieser meiner Frustration heraus entgingen mir damals die malerische Qualität des Bildes und die Besonderheit des menschlichen Ausdrucks im Anlitz des Dargestellten. (Abb. 1)
Fritz Hagl, O.T. 1964, Feder und Tusche, cm: 40 x 30 (Abb. 2).
Die Zeichnungen, in Feder, Bleistift oder Kreide ausgeführt, wirken kraftvoll und von starkem Willen geprägt. Sie orientieren sich an der Natur der Insel, geben Macchia, Felsen und Häuser wieder. Es spricht aus ihnen etwas ganz Eigenes, das im Wesen dieses starken Mannes zu liegen schien: der Versuch, sie einem Formenkanon anzupassen, den Hagl als Synthese in den sichtbaren Formen zu entdecken meinte. Das sind keine Naturstudien im rein abbildenden Sinn, sondern Gestaltungsvorgänge in einer übertragenen Weise. Die Auseinandersetzung zwischen subjektiver Einbildung und dem Sehen am Objekt, die Dualität zwischen persönlicher Vorstellung und Naturform vermitteln sich deutlich (Abb. 2)
Hagl hatte auf Elba von 1960 bis etwa 1963 zuerst sein Haus gebaut, zwischendurch und danach gezeichnet. Erst nach Installation seines Ateliers konnte er sich an langwierigere malerische Projekte wagen.
Die zwischen 1965 und 1970 entstandenen Tempera-Landschaften erschienen abstrakter, weiter weg von der Natur als die im Freien entstandenen Zeichnungen. In diesen „Ideallandschaften“ kann man die Darstellung mythischer Vorstellungen entdecken, was in der besonderen Art der Naturumformung und im Auftreten seltsamer stilisierter Menschen, die diese utopisch gestaffelten Felsformationen bevölkern, zum Ausdruck kommt. Ein in Rotbraun durchgehaltener „Galerieton“ forcierte meine oberflächliche Antwort anlässlich eines Atelierbesuchs in diesen frühen Jahren. „Akademisch“ war damals das Urteil eines unreifen Pseudorevolutionärs, der erst vor kurzem eine Professur an der Nürnberger Kunstakademie angenommen hatte und in diesem Gewand paradoxerweise vorgab, gegen den Akademismus malen zu wollen (Abb. 3).
Die mittleren Jahre: 1975-1988
Fritz Hagl: O.T. 1976, Tempera auf Leinwand /
Preßspan, cm: 61 x 36,5 (Abb. 4).
Nach 1975 vollzieht sich in Hagls Bildern ein entscheidender Wandel. Die Begegnung im Sommer 1976 ist mir heute noch so lebendig wie damals, die Empfindung von Verblüffung, Freude und Erregung noch gleichermaßen gegenwärtig.
Neben mehreren mittleren Formaten an den Wänden des Ateliers steht auf der Staffelei ein kleines Bild, das Meer, Himmel und Felsen darstellt (Abb. 4)
Es ist von einer technischen und malerischen Meisterschaft, die sich fortan in Hagls Bildern konstant realisiert. Alles Schematische, Erstarrte, Unausgegorene ist verschwunden und macht einer neuen bildnerischen Selbstverständlichkeit Platz. Eine erweiterte formale Konzeption, ein verändertes Realitätsbewusstsein, verbunden mit klarer, heller Farbgestaltung gibt diesen neuen Bildern Strahlkraft und glaubhafte künstlerische Lebensfähigkeit. Gleichermaßen verbindend ist ihnen Hagls Erfindung einer besonderen Raumstaffelung. Er schiebt nun vor die differenziert gemalten Landschaftsteile aus Meer und Bergen kulissenartige Formationen von Felsen oder menschlichen und tierischen Knochen. Diese Verschränkungen aus keulenartigen Formmassen, in zwei oder drei Ebenen gegliedert, sind so miteinander verbunden, dass sie als ein geschlossenes Raumgeflecht gelesen werden können. In und zwischen ihnen öffnen sich höhlenartige Rundungen, ovale und verschieden gestaltete rechteckige Formöffnungen, die wie Durchblicke oder Durchbrüche die dahinterliegenden Landschaftsformationen und Meere frei lassen.
Dies geschieht bildnerisch derart, dass eine Umkehrung des gewohnten räumlichen Sehverständnisses stattfindet. Die vordere Raumkulisse tritt optisch durch Abschattierung zurück und im Hintergrund liegende hellere Formen drängen als Durchblicke in den Bildvordergrund. Beide „ Pläne“ treffen sich somit auf der gleichen „Bild-Ebene“.
Damit gelingt Hagl das Zusammenführen raumperspektivisch nicht zusammengehöriger Teile, eine Gegenwärtigkeit trotz Verschiedenheit der Distanzen, eine Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. Es entsteht durch das Kontinuum von Gegenwart eine Aura des Meditativen, die den anteilnehmenden Betrachter das empfinden stillstehender Zeit vermittelt.
Diese Gemälde Hagls sind von traumhafter Schönheit. Sie verwandeln Formen der sichtbaren Wirklichkeit und führen in eine visionäre Bildwelt. Vielleicht ist ihr Geheimnis in jener geschilderten Raum-Zeitverschiebung geborgen (Abb. 5,6,7.)
Wie die Kunstgeschichte belegt, sind sowohl das Heranholen räumlich entfernter Gegenstände in die Bildebene als auch die Gestaltung der Negativformen bereits von anderen Künstlern vorgeführt worden.
So erscheint z.B. in einem Bild von Paul Cezanne ein in der Realität weit hinten stehendes Haus im Laubwerk des Bildvordergrunds direkt neben demselben.3 In Gemälden von Max Ernst dringt durch das Astwerk der Bäume das Hellblau des Himmels als bewusst gestalteter keilförmiger Schlitz. Runde und ovale Formen kommen in diesen Bildern als Aussparungen zwischen Büschen und Sträuchern nach vorne.4
Bei Fritz Hagl aber sind die Negativformen wie eigenständige „Bilder im Bild“ gegenstandsbezogen ausgemalt. Der enge Kontakt zur Natur auf Elba macht sie so besonders charakteristisch. Diese „Concetti“ werden fortan zu den immer wiederkehrenden Überraschungen jedes seiner weiteren neuen Gemälde. Trotz seiner ausgeprägten Tendenz zu strengem Bildaufbau und durchdachter Komposition wirkt seine Vergehensweise immer lebendig, denn „durch die Beobachtung der Natur gelangte Hagl zu den organischen Formen, die sich im Laufe der Jahre immer mehr verdichteten“.5
Ein weiteres Merkmal der Kompositionstechnik Hagls ist das „Durchführen der Linien“, die Verbindung der Konturen als lineares Geflecht durch das ganze Bild. Menschen oder Gegenstände stehen nicht isoliert im Geviert des Bildes, sondern sind miteinander als großes Ornament verwoben. Er entdeckte diese Darstellungsart in den späten siebziger Jahren beim Studium alter Meister. Sie wird in den Bildern des Spätwerks zur beherrschenden Gestaltungsweise. „Wie sich die Linien durchziehen“, sagte er einmal zu mir bei der gemeinsamen Betrachtung eines Freskos von Benozzo Gozzoli in Florenz 6 und zeichnete in der Luft die Verbindungslinien von Köpfen, Gewändern, Pferden, Häusern und Pflanzen nach.
Das Spätwerk: 1989-2001
Sind bisher noch manchmal Menschen oder Tiergestalten im Bild verwoben, so verlässt ab 1989 die Figur die Szene und es wächst jene durchflochtene Wand aus Felsformationen und vegetativen Elementen, die mehr und mehr das gesamte Format ausfüllt.
Maltechnisch arbeitet Hagl nun mit variantenreichen Hilfsmitteln in höchster Präzision. In einem kleinen werkstattähnlichen Anbau vor seinem Haus bereitet er seine Bildgründe vor. Pressspanplatten überzieht er mit Leinwand oder Baumwolltüchern und bestreicht sie in mehreren Schichten mit selbst hergestelltem Halbkreidegrund. Darüber malt er im Atelier in Eitempera die grobe Farbanlage. Nach einem Zwischenfirnis aus Dammarharz und Terpentin werden Eitempera-Lasuren aufgetragen, um die Gegenstände zu modellieren. Er verwendet jetzt auch gelegentlich Farne und Flechten, durch deren Gerüst er farbige Tuschen oder verdünnte Eitempera auf die Bildfläche spritzt. So erzielt er vielschichtige grafische Strukturen und kann vorher flächig angelegte Formen detaillierter beleben und abschattieren. Nach weiteren Lasuren, Übermalungen und Zwischenfirnissen erfolgt der Schlussfirnis, auch zum Schutz gegen die feuchte, salzhaltige Luft auf der Insel. Die Pigmente stammen von einem alten Maltechniker aus München oder aus den farbigen Erdbergen auf Elba. Ich schürfte mit Hagl oft selbst Ocker, Siena oder Rottöne, die wir dann zu tiefem Rot oder Violett brannten. Diese ganze Prozedur altmeisterlicher Bildherstellung ist langwierig, aber ein Bestandteil Haglscher Lebensphilosophie, der seine Bilder hergestellt hat wie „ein Gärtner seinen Garten anlegt“, 7 von der sorgsamen Pflege der Erde bis zur Ernte.
1989 entsteht ein Kleinformat mit Steinformen, Meer und Himmel, dessen „Bildgitter noch in räumlichen Tiefenplänen geordnet ist (Abb. 8). Bald darauf aber wuchert die Malfläche zu und es erscheinen diese durchlöcherten und filigran strukturierten Felswände, die die Bildtiefe verschließen (Abb.9). Sie sind den Felsen am Strand von Nisporto nachempfunden, erinnern mich aber auch an Luftaufnahmen aus großer Höhe (Abb. 10)
Das Einzelbild genügt Hagl nicht mehr. Er malt Triptycha, Vierer-oder Sechsergruppen. Eine vierteilige Serie in Rottönen ist nunmehr flächig umgrenzt. Jede Raumillusion in die Perspektive nach hinten ist versperrt. Wie auf Platten oder Vorhänge gemalt, liegen die Steingerüste direkt vor uns. Diese Strukturen stellen sich in Kleinräumen äußerst differenziert dar und zeigen in diesen kleinen räumlichen Zellen den ganzen Reichtum Haglscher Kunst (Abb. 11-14)
Mikro- und Makrokosmos sollen vereint werden. Das Detail strahlt die gleiche Intensität aus, wie die Gesamtkomposition im Grossen. Ich sehe Hagl jetzt noch vor mir, wie er sich in verschiedenen Grössen Passepartout-Felder aus Karton schneidet und seine Gemälde damit aus verschiedenen Entfernungen an allen möglichen Partien überprüft.
In seinem letzten, unvollendeten Bild kehrt Hagl wieder zu größeren Tiefenräumen zurück, als ob die horizontverstellenden Wände wieder weggerückt werden sollen (Abb. 15). Himmel, Meer und Küste zeigen sich erneut in großräumigem Gewand. Felsen sind bereits ausgemalt, blaue Flächen von Himmel und Meer farbig und strukturell erst angelegt. Der weitere Weg bleibt unbeantwortet.
Fritz Hagl liebte die Musik, den Jazz. Mehrere Musiker kannte er persönlich. Einige waren anlässlich der Festivals auf Elba bei ihm zu Gast. Deshalb sei am Schluss der Gitarrist Dean Brown zitiert, dessen Aussage auch über Hagls Werk stehen könnte:“...die entscheidenden Kriterien in der Musik, wie in jedem anderen künstlerischen Produkt sind Integrität, Aussagekraft und Wärme“8.